15.03.2006
Kurzbericht über das 39. FIW-Symposion in Innsbruck
FIW
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Das XXXIX. Symposion des FIW hat vom 1. bis 3. März 2006 in Innsbruck stattgefunden. Thema war der „Wettbewerb in einem größeren Europa“. Mit über 140 Teilnehmern war die Veranstaltung erneut sehr gut besucht.
Das Symposion wird vielen in besonderer Erinnerung bleiben, weil starker Schneefall in Deutschland die Anreise zweier Referenten (Philip Lowe, Professor Jürgen Basedow) verhinderte und die Abreise mancher Teilnehmer am Freitag und Samstag stark behinderte.
Die Verbundenheit zu Tirol und Innsbruck kam wiederum durch die Grußworte des Landeshauptmanns (Ministerpräsident) Herwig van Staa und der Bürgermeisterin Hilde Zach zum Ausdruck, die beide bei der Eröffnungssitzung anwesend waren.
Der Vorsitzende des FIW, Herr Dr. von Rohr, leitete eine Tagung, die das vielfältige Wettbewerbsgeschehen in einer vergrößerten Europäischen Union abbildete:
- Dr. Hans-Peter Keitel, der Vorstandsvorsitzende von HOCHTIEF, gab einen höchst interessanten Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung der Bauindustrie seit 1990, die durch einen Prozess erheblicher Schrumpfung gekennzeichnet ist. Die großen Unternehmen reagieren darauf mit einer Strategie, die vom klassischen Baukonzern zum Baudienstleister hinführt. Dies erfordert vermehrte Qualifizierung, technischen Fortschritt, vor allem aber die Zusammenarbeit mit allen Projektbeteiligten. Dem Konzept der public-private-partnership wird eine gute Zukunft vorhergesagt, auch in Deutschland.
- Professor Carl Baudenbacher, Präsident des EFTA-Gerichtshofes, fragte in seinem Vortrag, was vom alten europäischen Modell der Wettbewerbspolitik übrig geblieben sei: heute sei nicht mehr die Fairness, sondern die Effizienz das Hauptziel dieser Politik. Die Entwicklung führt weg vom Ordoliberalismus, der eine Marktstruktur schützen will, die wirksamen und funktionsfähigen Wettbewerb gewährleistet, hin zum „more economic approach“, der auf Hayek und die Chicago School gegründet für ein freieres Spiel der Marktkräfte und stärkere Zurückhaltung der Wettbewerbsbehörden eintritt. Ob sich ein neues europäisches Modell herausbilden wird und wie es aussehen könnte, muss die Zukunft erweisen.
- Dr. Ulf Böge, Präsident des Bundeskartellamts, sprach über das Subsidiaritätsprinzip in der europäischen Wettbewerbspolitik, wie es jüngst in der VO 1/2003 (Behördennetzwerk) und auch in der revidierten Fusionskontrollverordnung verwirklicht worden ist. Dr. Böge befasste sich kritisch mit Tendenzen einer Renationalisierung der Wettbewerbspolitik, wie sie im Zusammenhang mit dem Fall Springer / Premiere sichtbar geworden seien, wandte sich aber auch gegen weitere Zentralisierungen, so gegen die Brüsseler Vorschläge, der Kommission die Zuständigkeit in der Fusionskontrolle auch dann zu geben, wenn die Unternehmen mehr als zwei Drittel ihres Umsatzes in einem Mitgliedstaat tätigen. Wettbewerb der Rechtsordnungen bei gleichzeitiger Konvergenz der Beurteilungsmaßstäbe sei die bessere Lösung.
- Professor Jürgen Basedow, Vorsitzender der Monopolkommission, befürwortete in seinem (verlesenen) Beitrag über Perspektiven des Kartelldeliktsrechts eine Verbesserung der Position von Kartellgeschädigten und schloss sich weitgehend der Analyse der Kommission im Grünbuch über private Schadensersatzklagen an. Dabei trat er erneut für doppelten Schadensersatz bei Kartellklagen ein. Über die Ermächtigungsgrundlagen hat die Kommission bisher noch nichts verlauten lassen: Artikel 83 EU kommt für das Kartelldeliktsrecht jedenfalls nicht in Betracht. Auch die Probleme des internationalen Privat- und Prozessrechts sind noch keineswegs zufriedenstellend geklärt.
- Jozsef Sárai, Leiter der Internationalen Abteilung im ungarischen Kartellamt, schilderte die kurze, aber erfolgversprechende Geschichte des Aufbaus einer Wettbewerbsbehörde in einem Beitrittsland. Die junge Behörde hatte nicht nur die erwarteten Anfangsprobleme zu lösen, sondern musste in den letzten Jahren auch alle Modernisierungsschritte des europäischen Rechts nachvollziehen. Heute werden jährlich etwa 70 Fusionsfälle bearbeitet. Seit Mai 2004 hat Ungarn 28 Fälle in das Behördennetzwerk eingestellt. Geldbußen sind in Höhe von 35 und 14 Mio. Euro (2004 und 2005) verhängt worden.
- Philip Lowe, Generaldirektor der GD Wettbewerb, forderte in seinem (ebenfalls verlesenen) Beitrag die interessierten Kreise auf, sich rege an der Konsultation zu den beiden gegenwärtig laufenden Hauptprojekte zu beteiligen. Im Kartelldeliktsrecht sei die Kommission noch keineswegs auf ein Ergebnis festgelegt. Sie habe kein Harmonisierungsgesetz in der Schublade, sondern „alles ist möglich“. Leitlinien zu Artikel 82 EU werden noch in diesem Jahr veröffentlicht und sollen auch Aussagen zum Ausbeutungs- und Diskriminierungsmissbrauch enthalten, wozu dann gleichfalls Stellung genommen werden kann. Die Zusammenarbeit mit den Wettbewerbsbehörden der Beitrittsländer gestalte sich gut, was sich vor allem an den Beiträgen zum Behördennetzwerk ablesen lässt. Mit den nationalen Gerichten gibt es hingegen eher Schwierigkeiten, denn es werden kaum Fälle nach Brüssel gemeldet und bisher auch keine Beteiligungen der Kommission an Verfahren erbeten.
- Wayne Dale Collins, Shearman & Sterling, vermittelte einen amerikanischen Blick auf die europäische Wettbewerbspolitik. Es gibt viele rechtliche Ähnlichkeiten zwischen den USA und der EU, was sehr zu unterstützen ist. Die Praxis der Wettbewerbsbehörden unterscheidet sich jedoch nicht unerheblich. In den USA stehen horizontale Wettbewerbsbeschränkungen bei Fusionsfällen und bei Kartellabsprachen so sehr im Vordergrund, dass dahinter die vertikalen Probleme und auch die Missbrauchsfälle fast verschwinden. Generell ist es für die Praxis in den USA viel wichtiger als – anscheinend – in Europa, durch Behördeneingriffe nicht wettbewerbsförderndes Verhalten zu verbieten (type I error). Dabei nimmt man in Kauf, dass mitunter Wettbewerbsschädigungen vor allem im vertikalen Bereich nicht energisch angegangen werden, doch vertraut man hier stärker als in der EU auf die Korrekturen des Marktes.
- Professor Lars-Hendrik Röller, Chefökonom der GD Wettbewerb, widmete sich dem ökonomischen Ansatz in der Beihilfenkontrolle. Ziel der Kommission ist es, weniger Beihilfen zielgerichteter einzusetzen. Leider geht das Gesamtvolumen der Beilhilfen in der letzten Zeit nur noch langsam zurück. Die Generaldirektion hat ein ausgefeiltes System von Prüfschritten entwickelt, mit denen die wirtschaftlichen Folgen von Beihilfen festgestellt werden sollen. Manches muss sich aber in der Praxis noch bewähren, zumal der Umbau der Beihilfenkontrolle hin zu einer mehr wirtschaftlichen Betrachtungsweise noch nicht abgeschlossen ist.
- Professor Josef Drexl, Universität München, sprach abschließend über das geistige Eigentum in der europäischen Wettbewerbsordnung. Die Schutzrechte werden gewährt, um Imitationswettbewerb auszuschließen. Substitutionswettbewerb muss hingegen erlaubt bleiben. Um dieses Prinzip durchzusetzen, bedarf es Anpassungen sowohl im gewerblichen Rechtsschutz (Binnendimension) wie auch im Wettbewerbsrecht (Außendimension). Das Kartellrecht wird vor allem bei Netzwerkeffekten und Standardisierungen zum Zuge kommen müssen, ist aber allein nicht in der Lage, alle Probleme zu lösen. Die richtige Balance zwischen Investitionsschutz durch Schutzrechte und Wettbewerbsfreiheit der Konkurrenten ist in der Rechtsprechung des EuGH (Magill, IMS Health) noch nicht gefunden worden. Der Fall Microsoft wird die nächste Gelegenheit für eine Präzisierung sein.
Das XL. Symposion findet vom 21. bis 23. Februar 2007 wieder in Innsbruck statt. Es wird sich mit staatlichen Eingriffen in den Wettbewerb, Missbrauchskontrolle und Regulierung (Arbeitstitel) beschäftigen.