04.01.2006

Kommission veröffentlicht Grünbuch über Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts

EU
Europäische Kommission
Private Enforcement
Schadensersatz

https://www.europa.eu.int/comm/competition/antitrust/others/actions_for_damages/gp.html

Die Generaldirektion Wettbewerb hat am 20. Dezember 2005 ihr „Grünbuch über Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“ (KOM 2005/672 vom 19.12.05) veröffentlicht und alle Interessenten gebeten, dazu bis zum 21. April 2006 Stellung zu nehmen.

Wird in Europa ein Kartell aufgedeckt, verhängen die Wettbewerbsbehörden Bußgelder oder (in einigen Mitgliedstaaten) Kriminalstrafen und können den Mehrerlös abschöpfen. Die Geschädigten haben zwar rechtliche Ansprüche aus Deliktsrecht oder besonderen kartellrechtlichen Vorschriften, doch ist die Zahl der Zivilklagen in allen EU-Staaten sehr viel kleiner als in den USA. Die Kommission will mit dem Grünbuch untersuchen, woran dies liegt, welchen Hindernissen sich potentielle Kläger gegenübersehen und welche Abhilfen möglich sind. Sie fühlt sich zu dieser Initiative auch durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Fall Courage vs. Crehan ermuntert. Der Gerichtshof hatte dort ausgesprochen, dass die Wirksamkeit des Kartellrechts beeinträchtigt würde, wenn nicht jedermann Schadensersatz verlangen könnte. Solche Ansprüche erhöhten die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsvorschriften und hielten Unternehmen von Gesetzesverletzungen ab.

Diese Vorgabe und begleitende Äußerungen von Wettbewerbskommissarin Kroes lassen erwarten, dass die Kommission Maßnahmen ergreifen wird und die Konsultation insofern nicht mehr ergebnisoffen ist. Was allerdings im Einzelnen geschehen wird, muss anhand des Grünbuches noch eingehend erörtert werden.

Das Grünbuch (12 Seiten) beschreibt eingangs noch einmal das Problem. Das Kartelldeliktsrecht ist, wie man der Ashurst-Studie (FIW-Aktuelles vom 13.09.2004) entnehmen kann, in den Mitgliedstaaten völlig unterentwickelt (dem hat das Bundeskartellamt allerdings in seinem Papier „Private Kartellrechtsdurchsetzung“ für die Professorenkonferenz 2005 widersprochen, soweit Deutschland betroffen ist, FIW-Aktuelles vom 04.10.2005). Das Grünbuch soll die Hindernisse feststellen und bittet deshalb zu Stellungnahmen zu folgenden Themen:

Zu jedem dieser Punkte schildert das Grünbuch Lösungsoptionen (insgesamt 36). Erläuterungen zum Grünbuch findet man in einem „Commission Staff Working Paper“ (78 Seiten).

In einer erläuternden Unterlage zum Grünbuch (frequently asked questions) geht die GD Wettbewerb auch auf die häufig gehörte Bemerkung ein, sie plane die Einführung einer US-ähnlichen „Klagekultur“ (litigation culture) in Europa. Sie verneint dies mit zwei Argumenten: die vorgeschlagenen Optionen würden nicht zu missbräuchlichen (unmeritorious) Klagen führen, ferner könne man auch auf die nationalen Richter vertrauen, die dies schon zu verhindern wüssten. Im Übrigen verfolge die Kommission insgesamt einen „balanced approach“.

Wer mit dem amerikanischen Haftungsrecht vertraut ist, wird verschiedenen Optionen wieder erkennen: Pflicht des Beklagten zur Herausgabe von Dokumenten an den Kläger (1 – 3), verschuldensunabhängige Haftung (11 und 12), Mehrfachschadensersatz (16), Für und Wider der Passing-on-defense (21 – 24), Sammelklagen (25, 26), Befreiung des Klägers vom Kostenersatz bei Prozessverlust (27) sowie Haftungserleichterungen für Kronzeugen (29, 30).

In eigener Sache: über „Perspektiven des Kartelldeliktsrechts“ wird beim FIW-Symposion in Innsbruck am 3. März 2006 Herr Professor Dr. Jürgen Basedow referieren. Er ist Vorsitzender der Monopolkommission und Mitglied einer wissenschaftlichen Beratergruppe, die das Grünbuch für die GD Wettbewerb mit vorbereitet hat.