07.03.2017

50. FIW-Symposion in Innsbruck – Rede Andreas Mundt

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FIW
Symposion
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Bundeskartellamt
Mundt

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, Wo steht der Wettbewerb? Standortbestimmung im Lichte neuerer Entwicklungen im Kartellrecht

Anlässlich des 50. FIW-Symposion in Innsbruck (1.- 3. März 2017) zu dem Thema „Globalisierung und Digitalisierung: Passt die Wettbewerbsordnung noch in unsere Zeit?" ging Mundt in seinem Vortrag vom 2. März 2017 der Frage nach, welchen Aufgaben das Bundeskartellamts künftig nachgehen solle, insbesondere der Frage, wie das Amt mit den Ablöseprozessen infolge des disruptiven Innovationswettbewerbs umgehen solle. Man müsse sich bei der Beantwortung dieser Frage auch mit den gegenläufigen Entwicklungen der Welt von heute auseinandersetzen. Zwar werde das Wettbewerbsrecht in der Öffentlichkeit immer stärker wahrgenommen, auf der anderen Seite beherrsche jedoch die Kluft zwischen dem Volk und der Elite die gegenwärtige Diskussion. Man müsse daher zunächst eine Standortbestimmung vornehmen, so Mundt.

Mundt stellte drei Thesen auf. Die Wettbewerbspolitik und -behörden stünden unter einem großen Erwartungsdruck und stießen zunehmend an ordnungspolitische Grenzen (1. These). Enttäuschungen korrespondierten mit Erwartungen an höhere Effizienz und beständige Arbeitsplätzen. Wenn Ziele mit dem Wettbewerbsrecht nicht erreichbar seien - ein Beispiel sei die Klage der Presseverleger gegen Google mit dem Ziel der Vergütung für Medieninhalte, auf die Google verlinkt - müsse das akzeptiert werden. Das Wettbewerbsrecht stoße aber auch darüber hinaus an seine Grenzen bei Monopolen, obwohl dies im Zeitalter neuer Technologiegiganten gerade dringend gebraucht werde. Mundt fragte, ob der Wettbewerb diese Funktion noch in einer Zeit erfüllen könne, in der Quasi-Monopolisten im Netz durch Netzwerkeffekte entstünden, die ihre Stellung massiv verteidigten und - etwa als soziale Netzwerke - durch Inhalt politischen Einfluss nähmen.

Der Wettbewerb werde als Entmachtungsinstrument heute in Frage gestellt und damit auch die Arbeit der Wettbewerbsbehörden und ihre Effizienz (2. These). Dies werde durch ein Zitat von Peter Thiel (Paypal) illustriert, der gesagt habe, Wettbewerb sei etwas für Verlierer. Allerdings bräuchten auch Quasi-Monopolisten den Wettbewerb, um innovativ zu sein. Bedauerlicherweise habe selbst der Gesetzgeber Zweifel an der Wirksamkeit des Wettbewerbs gehabt, als er im Zuge der 8. GWB-Novelle die Krankenkassen und Gebühren aus dem Anwendungsbereich des Kartellrechts herausgenommen bzw. nicht hineingenommen habe. Auch anlässlich der 9. GWB-Novelle sei diskutiert worden, die Back-Office-Leistungen von Sparkassen aus dem Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts herauszunehmen und Ausnahmen für die Holzwirtschaft zu schaffen. Es sei zudem nicht richtig, so Mundt, Ausnahmen für die Printpresse vorzusehen, obgleich sie es im digitalen Zeitalter zugegebenermaßen schwer hätte.

Ein selbstkritischer Blick auf die Behördenarbeit zeige, dass das Bundeskartellamt zwar ein Vorreiter bei der Einleitung von Untersuchungen in der Internetökonomie gewesen sei, es aber auch selbst spät dran gewesen sei, sich dieser Fälle (z.B. Internetvertrieb, Hotelbuchungsportale) anzunehmen und ein Level Playing Field herzustellen. Die entscheidenden Schritte seien erst infolge der politischen Diskussion vor drei bis vier Jahren eingeleitet worden, dafür aber dann mit größerer Vehemenz. Mundt streifte auch das Thema Zuwanderung, worin ein Grund zu sehen sei, warum Deutschland die erste Runde der digitalen Industrialisierung verloren habe. Die Hightech-Industrie sei ohne Einwanderung nicht denkbar, Deutschland werde jedoch nach wie vor nicht als Einwanderungsland begriffen.

Revolutionäre Umwälzungen veränderten den Wettbewerb und die Arbeit der Wettbewerbsbehörden (3. These). Wettbewerb habe durch die zunehmende Digitalisierung weltweit zugenommen. Ob dies gut oder schlecht sei, sei eine Frage der Perspektive. Wettbewerbsbehörden müssten diesen Anpassungsprozess jedenfalls angemessen begleiten. Es gebe in jedem Fall eindeutige Gewinner der Globalisierung und der Digitalisierung, die einen effektiven Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten würden; dies führe zumindest in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu einem Wohlstand auf niedrigem Niveau. Auch in den Industriestaaten lägen die Vorteile auf der Hand: Produkte und Margen würden billiger. Allerdings gebe es auch Verlierer. Die Mittelschicht in Deutschland sehe sich auf der Verliererseite, habe Sorge vor Wohlstandsverlust und -verschiebung. Viele fragten sich, was ihnen der globale Wettbewerb um die besten Köpfe global bringe. Diese Frage sollte nicht im Sinne einer Neiddiskussion mit Blick auf die Vorstandsgehälter gestellt werden, aber sie müsse beantwortet werden.

Mundt betonte, dass die Arbeit für Wettbewerbsbehörden generell sehr viel schwieriger werde. Es gebe immer mehr Missbrauchsverfahren, da die digitalen Unternehmen stets größer würden (z.B. zu Best-Price-Klauseln, Fragen des Internetvertriebs). Diese Verfahren seien keine „Mount Everest"-Fälle mehr, sondern gehörten heute zum Alltag in den Behörden. Auch sei die Arbeit des Amtes digitalisiert. Das Hinweissystem sei digitalisiert und für Ausschreibungsergebnisse würde ein Screening eingesetzt, um auffällige Muster und Subventionsabsprachen zu finden. Durchsuchungen seien heute hauptsächlich Durchsuchungen von IT. Auch die Transparenz bei Kraftstoffen werde dank Digitalisierung im Minutentakt gewährleistet. Behörden wandelten sich im Zuge der Digitalisierung auch zunehmend zu Think Tank-Plattformen.

Wenn die Anwendung des Rechts die neue Welt nicht erreiche, müsse das Gesetz geändert werden. Für die 9. GWB-Novelle habe das Amt Änderungen vorgeschlagen. Durch die Novelle werde der Rechtsrahmen teilweise gestärkt, andererseits geschwächt. Positiv seien die Regelungen zu den Digitalthemen, auch die umsatzbezogene Fusionskontrolle. Auch sei das Schließen der Wurstlücke ein dringendes Thema gewesen. Dem Amt entgingen dadurch viele hundert Mio. Euro. Allerdings seien Vakanzen im Verbraucherschutz spürbar. Einzelklagen führten nicht zu Verhaltensänderungen eines großen Players. Ein Einzelner habe keine Ermittlungsbefugnisse. Der Zivilrechtsschutz (im Bereich von AGB und UWG) stoße damit insgesamt an Grenzen. Durch eine Handlung könnten Millionen von Verbrauchern geschädigt werden und großer Schaden, auch für Unternehmen (Beispiel: falsches Ranking) entstehen. Eine beschränkte Kompetenz für das Bundeskartellamt könne daher segensreich wirken. Schadensersatzklagen für Private bewertete Mundt als „zwiespältig". Es sei genau zu beobachten, ob Kronzeugenanträge in Folge der neuen Regelungen abnähmen. Im Zivilrecht fehle auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weshalb man die Besorgnis der Unternehmen vor Überforderung verstehen könne.

Auch im ECN müsse man für die digitale Welt handhabbare Regelungen finden. Hier stelle sich angesichts weltweiter Fälle zum einen die Frage nach der richtigen Fallallokation (welche sei die am besten geeignete Behörde?). Gutes Beispiel sei dafür der Google-Fall der Kommission, der auf einen Überweisungsfall zurückgehe. Die Kommission sei primus inter pares, die nationalen Wettbewerbsbehörden seien aber ebenfalls geeignet, Fälle an sich zu ziehen. Dies zeige der gegenteilige Fall Amazon Marketplace, bei dem das Bundeskartellamt erfolgreich mit der OFT zusammengewirkt habe.

Zum anderen stelle sich die Frage nach der richtigen Kooperation in laufenden Fällen. Die Kritik, dass das ECN nicht funktioniere, hält Mundt für „hypothroph". Es liefe alles „ganz vernünftig". Zu belegen sei dies zum Beispiel mit der gemeinsamen Einleitung eines Verfahrens durch Bundeskartellamt und Kommission im Fall der Exlusivitätsvereinbarung zwischen Audibel und Apple.

Die internationale Zusammenarbeit bleibe in jedem Fall wichtig, da auch der Wettbewerb global sei. Daher seien auch internationale Organisationen wichtig. Das ICN sei anfänglich als eine Art „Selbsthilfegruppe" gegründet worden, weil der Wettbewerb in multilateralen Abkommen (WTO) keine Berücksichtigung gefunden habe. Das ICN sei allerdings kein Weltkartellamt. Sein Fokus liege auf Empfehlungen zur Rechtsänderung.

Mundt gab einen Ausblick auf die Zukunft des Bundeskartellamts. Das Amt solle künftig weiter ausgebaut werden, eine zentrale Funktion in der digitalen Welt einnehmen und zielführende Verfahren führen. Verbraucherschutz solle künftig ebenfalls eine Aufgabe des Amtes werden. Die Kartellverfolgung bleibe zentral. Das Verhältnis zwischen behördlicher und privater Kartellverfolgung müsse sehr genau beobachtet werden. Darüber hinaus werde das Amt an der internationalen Vernetzung festhalten, da Wettbewerbsschutz ohne das ICN nicht denkbar wäre. Er werde deshalb weiter daran gearbeitet werden, weltweit ein level playing field aufsetzen.

Auf Nachfrage in der anschließenden Aussprache ergänzte Mundt zum Thema Verbraucherschutz, dass Wettbewerb der beste Verbraucherschutz sei, und ein umfassender behördlicher Verbraucherschutz nicht gebraucht werde. Sofern Defizite identifiziert würden, müssten diese auch behoben werden. Mundt sagte, er werbe daher nur für eine „schmale Kompetenz". Der Verbraucherschutz müsse in der Behörde auch organisatorisch vom Wettbewerbsschutz getrennt werden, da jener auf einer anderen Rechtsgrundlage fuße und eine andere Zielrichtung verfolge.