19.06.2013

EuGH entscheidet beim Akteneinsichtsrecht zugunsten von Kartellgeschädigten

Der EuGH (Gerichtshof der Europäischen Union) hat am 6. Juni 2013 in der Rechtssache Donauchemie (Rs. C-536/11) geurteilt, dass die gesetzliche Regelung in Österreich, welche das Akteneinsichtsrecht von Kartellgeschädigten grundsätzlich ausschließt, nicht mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist. Kartellgeschädigte müssten unter Umständen Einsicht in die Akten des Kartellgerichts bekommen. Die nationalen Rechtsvorschriften dürften nicht so ausgestaltet sein, dass es seitens der Geschädigten praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert würde, Schadenersatz zu erlangen. Es dürfe dem Richter daher auch nicht die Möglichkeit genommen werden, beim Recht auf Akteneinsicht zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Interesse von Dritten an einer Einsichtnahme  abzuwägen.

Hintergrund:

Das Urteil ist zurückzuführen auf ein Vorabentscheidungsverfahren des OLG Wien von Mitte Oktober 2011 eingeleitet. Das OLG Wien hatte über einen Antrag auf Akteneinsicht zu entscheiden, in dem sich die Klägerin auf das Pfleiderer-Urteil des EuGH berufen hatte, obwohl das österreichische Kartellgesetz eindeutig vorsieht, dass den Kartellgeschädigten Akteneinsicht nur dann gewährt wird, wenn die am Bußgeldverfahren beteiligten Parteien ihre Zustimmung dazu geben (§ 39 Abs. 2 Kartellgesetz). Die Zustimmung wurde verweigert, eine Interessensabwägung à la Pfleiderer sieht das Gesetz nicht vor. Der Antrag auf Akteneinsicht stand im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Schadensersatzklage des österreichischen Verbands Druck- & Medientechnik gegen Beteiligte des Druckchemikalienkartells, darunter die Donauchemie AG.

Nach dem EuGH-Urteil in Sachen Pfleiderer blieb es zunächst unklar, ob die nationalen Gesetzgeber selbst eine pauschale Interessenabwägung vornehmen und sich damit für oder gegen ein Akteneinsichtsrecht entscheiden dürfen, oder ob das nationale Recht Raum für eine Einzelfallabwägung durch die Gerichte lassen muss. Der EuGH hat nun im Sinne der Interessensabwägung  durch den Richter entschieden und die österreichische Regelung als europarechtswidrig angesehen. Die Abwägung kann nicht durch den Gesetzgeber vorgenommen werden. 

Im Wortlaut des Gerichts:

„Das Unionsrecht, insbesondere der Effektivitätsgrundsatz, steht einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen, wonach in Bezug auf Dokumente, die in den Akten eines die Anwendung von Art. 101 AEUV betreffenden nationalen Verfahrens enthalten sind - einschließlich Dokumenten, die im Rahmen eines Kronzeugenprogramms übermittelt wurden -, die Einsichtnahme durch nicht am Verfahren beteiligte Dritte, die Schadensersatzklagen gegen Kartellteilnehmer erwägen, allein von der Zustimmung aller Parteien dieses Verfahrens abhängt, ohne dass die nationalen Gerichte die Möglichkeit hätten, die betroffenen Interessen gegeneinander abzuwägen."

8. GWB-Novelle:

Vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH in der Rechtssache Donauchemie hat es sich im nach hinein als richtig erwiesen, den ursprünglich im Referentenentwurf vorgesehenen Ausschluss des Akteneinsichtsrechts bei Kronzeugenanträgen (Vertraulichkeit von Aufklärungsbeiträgen, § 81 b GWB-Referentenentwurf) nicht zu normieren. Der Entwurfstext hatte seinerzeit ebenfalls keine Interessenabwägung im Einzelfall vorgesehen.

Maßnahmenpaket zum kollektiven Rechtsschutz und zu Schadensersatzklagen im Wettbewerbsrecht:

Die Europäische Kommission hat schon nach dem Pfleiderer-Urteil Handlungsbedarf auf EU-Ebene identifiziert. Gemäß Artikel 6 Abs. 1 a des Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union vom 11. Juni 2013 (vgl. FIW vom 13.6.2013) schlägt die Kommission nun verschiedenen Beschränkungen für die Offenlegung von Beweismitteln aus den Akten einer Wettbewerbsbehörde vor. Demnach sollen die Mitgliedstaaten unter anderem gewährleisten, dass die einzelstaatlichen Gerichte zu keinem Zeitpunkt die Offenlegung von Kronzeugenunternehmenserklärungen für die Zwecke von Schadenersatzklagen anordnen können. Die Kommission sieht in einer Offenlegung dieser Unterlagen die Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms ernsthaft gefährdet. Mit Umsetzung einer solchen Richtlinie wäre nicht nur Pfleiderer, sondern auch die Rechtsprechung in Sachen Donauchemie überholt.