22.02.2020

Wirtschaftsminister aus Deutschland, Frankreich, Polen und Italien drängen auf eine Reform des Wettbewerbsrechts

EU/Kommission
D/BMWi
Vestager
Altmaier
Industriepolitik
Wettbewerbspolitik

Brief der Wirtschaftsminister:

https://g8fip1kplyr33r3krz5b97d1-wpengine.netdna-ssl.com/wp-content/uploads/2020/02/Letter-to-Vestager.pdf

Zeitungsartikel (pars pro toto):

https://www.politico.eu/article/eu-big-four-france-germany-italy-poland-press-executive-vice-president-margrethe-vestager-to-clear-path-for-champions/

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/fusionskontrolle-vier-grosse-eu-staaten-gegen-vestager-16620888.html.

Die Wirtschaftsminister aus Deutschland (Peter Altmaier), Frankreich (Bruno Le Maire), Polen (Jadwiga Emilewicz) und Italien (Stefano Patuanelli) drängen in einem gemeinsamen Brief vom 4. Februar 2020 EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, ihre Reformvorstellung für das europäische Wettbewerbsrecht alsbald vorzulegen.

Wesentlicher Inhalt des Briefs:

Die Minister fordern insbesondere eine Überarbeitung der Vorschriften zur Fusionskontrolle. Sie bringen zum Ausdruck, dass die derzeitige Bewertung von Fusionsvorhaben durch die EU-Kommission die globalen Herausforderungen der europäischen Industrie verkenne. Die Perspektive der EU-Kommission ließe zum Beispiel außer Acht, dass europäische Unternehmen, gegenüber staatlich unterstützten nichteuropäischen Unternehmen, vornehmlich aus China, einen Nachteil im Wettbewerb hätten.

Die Minister rekurrierten auch auf den gemeinsamen Brief der Wirtschaftsminister aus Deutschland, Frankreich und Polen vom 4. Juli 2019, in welchem sie bereits gemeinsame Vorstellungen für eine Modernisierung der EU-Wettbewerbspolitik vorgebracht hatten. Sie fordern, dass die Wettbewerbspolitik sich ändern müsse, um weiterhin relevant und effektiv zu sein. Die Umstände des globalen Wettbewerbs hätten sich verändert. Europäische Unternehmen müssten zunehmend mit ausländischen Unternehmen konkurrieren, die teilweise von massiver staatlicher Unterstützung oder von protegierten nationalen Märkten profitierten. Die Situation erfordere eine Evaluierung und Modernisierung der bestehenden Leitlinien der europäischen Kommission zur Bewertung von horizontalen Fusionen und einer Überarbeitung der Definition des relevanten Marktes, um einen fairen und unverzerrten Wettbewerb und eine vernünftige Flexibilität zu gewährleisten, die es -  auf einer Einzelfallbasis - erlaubten, staatliche Interventionen von Drittenstaaten besser in den Blick zu nehmen, sowie den potentiellen Wettbewerb und die Effektivität von Verhaltensmaßnahmen besser zu überprüfen.

Ziel sei es, ein Level-Playing-Field zu erreichen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und der europäischen Wertschöpfungsketten zu stärken, ohne dass gleichzeitig der Wettbewerb auf den relevanten europäischen Märkten verzerrt würde oder sich daraus negative Folgen für die Verbraucher und die Unternehmen ergäben. Die Kommission sollte auch für größere Klarheit bezüglich der durch eine Fusion entstehenden Effizienzen Sorge tragen.

Eine weitere Herausforderung markiert nach Altmaier und seinen Kollegen aus Frankreich, Polen und Italien das zunehmende Entstehen großer, nichteuropäischer Technikkonzerne. Sie forderten, dass die Kommission bis zum Ende des zweiten Quartals 2020 einen digitalen Ordnungsrahmen für den Umgang mit solchen Technikriesen schaffen und das Wettbewerbsrecht im Hinblick auf die Herausforderungen digitaler Märkte modernisieren sollte. Adressiert werden sollten insbesondere Plattformen „mit einer überragenden Marktstellung" („platforms with paramount importance for competition"). Diese Begrifflichkeit erinnert an die vorgeschlagenen Änderungen im Referentenentwurf eines so genannten GWB - Digitalisierungsgesetzes (19. GWB-Novelle), vgl. dazu FIW-Bericht vom 29.01.20).  

Weiter sollen europäische Unternehmen und Unternehmer größere Klarheit und Rechtssicherheit bei ihren Kooperationen erhalten. Die Kommission sollte zudem ihre Kapazitäten in Bezug auf digitale Märkte und die Herausforderungen in der Digitalwirtschaft erweitern. Zu denken wäre auch an eine spezialisierte Kommissionseinheit oder ein wissenschaftliches, unabhängiges Expertengremium, das die GD Wettbewerb unterstützt. Außerdem sollte die Expertise der GD Wettbewerb durch Sektorspezialisten aus anderen Generaldirektionen erweitert werden.

Reaktion der Wettbewerbskommissarin Vestager:

In einem Interview mit dem Handelsblatt vom 10.02.2020 wies Vestager die Bedenken der Minister zurück. Ein Wettbewerb zwischen europäischen Unternehmen in demselben Markt sei essentiell für Innovation. Weiterhin stellten industriepolitische Gesichtspunkte keine Rechtfertigung für das Übergehen kartellrechtlicher Bedenken bei Firmenzusammenschlüssen im Einzelfall dar. „Kein Unternehmen sollte unangefochten sein", so Vestager. Dies würde letztendlich Innovationen hemmen.

Stattdessen verwies Vestager auf eine bereits in Gang gesetzte Überarbeitung der Markdefinition durch die Kommission. Als Alternative zum Aufweichen der Fusionskontrolle nannte die Wettbewerbskommissarin einen Vorschlag der niederländischen Regierung. Diese plädierte dafür, dass staatlich unterstützte Unternehmen zu mehr Transparenz verpflichtet werden sollten. Dadurch sollen die durch die staatliche Subventionierung entstehenden Wettbewerbsvorteile der Firmen aufgedeckt werden.

Zuletzt mahnte Vestager zu Geduld. Ein Instrument, welches die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf dem globalen Markt gewährleistet und dabei dennoch den innereuropäischen Wettbewerb nicht erstickt, ist nicht „von heute auf morgen" zu schaffen.

https://www.handelsblatt.com/politik/international/interview-mit-vizepraesidentin-der-eu-kommission-vestager-widerspricht-altmaier-kein-unternehmen-sollte-unangefochten-sein/25523556.html?ticket=ST-2880635-ZD3XtfxaIXFGZtHnQkXD-ap1.

Handelsblatt vom 10.02.2020, S. 8 f.