21.05.2019

Familienunternehmer veröffentlichen eigene industriepolitische Strategie

In der Diskussion um die richtige Industriestrategie, die von Bundeswirtschaftsminister Altmaier angestoßen worden ist, hat der Verband „Die Familienunternehmer", in dem mittelständische Familienunternehmen Mitglieder sind, am 8. Mai 2019 einen Gegenentwurf vorgelegt. Das unter dem Titel „Nationales Fitness-Programm" veröffentlichte Programm versteht sich als Kritik an der Nationalen Industriestrategie 2030 (NIS 2013) und wartet mit eigenen Ideen auf. Nach Ansicht der Familienunternehmer sei es nicht Aufgabe des Staates, „nationale Champions" aufzubauen. Stattdessen müsse der Mittelstand als Stütze der deutschen Wirtschaft gestärkt werden, und es müssten Maßnahmen zur steuerlichen Entlastung getroffen werden. Dezidiert wendet sich der Verband auch gegen die von Bundeminister Altmaier eingezogenen Ideen zur Reformierung des Wettbewerbs- und Beihilfenrechts (vgl. dazu auch FIW-Berichte vom 19.02.19 und 17.05.19).

In der politischen Debatte ging es zuletzt zunehmend auch um eine Forderung nach Änderungen im Wettbewerbs- und Beihilfenrecht einschließlich der Fusionskontrolle. In der NIS 2030 hatte Bundeminister Altmaier auch Änderungen des Wettbewerbsrechts angeregt, um die Herausbildung von Unternehmen von kritischer Größe zu erleichtern. Die Familienunternehmer wenden sich gegen eine Aufweichung des Wettbewerbsrechts, u.a. auch der EU-Fusionskontrolle. Allerdings stehen sie der Frage von neuen Datenzugangsrechten und einer punktuell verschärften Missbrauchsaufsicht positiv gegenüber. Unternehmenskooperationen sollten, gerade im Hinblick auf Datenverarbeitung, erleichtert werden.

Im Papier der Familienunternehmer heißt es dazu (Auszüge):

S.3:

Der jüngst vom Bundeswirtschaftsminister entworfene Ansatz, planwirtschaftliche und protektionistische Elemente anderer Wirtschaftssysteme nachzuahmen, ist ein ängstlich wirkender Irrweg, der im Falle seiner Umsetzung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas nachhaltig und tief zu schaden droht. Enthaltene Vorschläge wie: (...) die politische Lockerung der Wettbewerbskontrolle sind massive Angriffe auf die Grundpfeiler unseres wirtschaftlichen und damit auch gesellschaftlichen Erfolgsmodells. 

S. 8-10: Ein modernisiertes Wettbewerbsrecht für neue Herausforderungen schaffen 

Wettbewerbsrecht ist kein Luxus, sondern eine der ganz zentralen Rahmenbedingungen für unseren Standort und unseren Wohlstand. (...) Länder, die auf die bloße Größe ihrer Marktteilnehmer setzen, und die sich ein bewusst zahnloses Wettbewerbsrecht leisten, gehören international oftmals zu den Absteigern. Zutreffend bleibt gleichzeitig allerdings die Einschätzung, dass das nationale wie auch das EU-Wettbewerbsrecht durchaus weiterhin Anpassungen brauchen. Hierzu gibt es - wie nachfolgend skizziert - intelligente Ansätze. Reformüberlegungen, wie die Einfügung einer Art »EU-Ministererlaubnis« im EU-Fusionskontrollrecht sind dagegen - nach Erörterung - aus guten Gründen zuletzt wieder zurückgenommen worden. DIE FAMILIENUNTERNEHMER stehen einer Aufweichung des Wettbewerbsrechts und insbesondere auch gerade der EU-Fusionskontrollverordnung nach wie vor äußerst skeptisch gegenüber. (...)

Im Zeitalter der Datenökonomie muss sich ein modernisiertes Wettbewerbsrecht aber durchaus mit der Frage beschäftigen, wie es erreicht werden kann, dass alle Unternehmen grundsätzlich in vergleichbarer Weise Zugang zu hinreichenden Größen an Datenmengen gelangen, um auf neuen, datengestützten Märkten mitagieren zu können und so auch etwa neue Geschäftsmodelle entwickeln zu können. Moderne Wettbewerbspolitik ist mithin immer auch Datenpolitik mit Blick auf die Informationsmacht von Marktteilnehmern. (...)

DIE FAMILIENUNTERNEHMER unterstützen Reformansätze z. B. im Zuge einer 10. GWB-Novellierung in die Richtung, machtmissbräuchliche Geschäftspolitiken solcher großer Daten-Unternehmen zu konterkarieren. Es geht hier darum, Marktzugangsbeschränkungen und laufende Marktverzerrungen für Mitbewerber zu vermeiden oder aufzuheben, die sich daraus ergeben können, dass der Zugang zu Daten als Marktgrundlage nicht offen ist, sei es durch Geschäftsmodelle oder auch einfach durch einen auf der Zeitachse erlangten Vorsprung. (...)

Wettbewerbsrechtlich könnte aber zu prüfen sein, ob nicht gerade auch mit Blick auf neue Märkte im Kontext mit KI für Unternehmen mittelständischer Größen kartellrechtlich Möglichkeiten zur Zusammenarbeit bei z. B. der Verschaffung und Verarbeitung größerer Datenmengen eröffnet werden sollten. Entsprechend ist auch an die rechtliche Erleichterung von Zusammenarbeit auf allen Feldern von KI-Entwicklungsbemühungen zu denken.

Aus dem Vorgehenden leiten sich für DIE FAMILIENUNTERNEHMER u. a. die hier folgenden Forderungen ab: 

• Jede nationale und europäische Wettbewerbsgesetzgebung ist nicht nur an der betriebswirtschaftlichen Größe am Markt agierender Unternehmen auszurichten, sondern ebenso an der Größe der für Unternehmen zugänglichen Datenmengen.

• In einem zu befristenden Übergangszeitraum ist eine verschärfte Missbrauchsaufsicht gegenüber Unternehmen, die wettbewerbspräventive Aktivitäten auf Basis erreichter Kapitalmacht betreiben, z. B. durch strategische Unternehmensaufkäufe, zu dulden.

• Das Kartellverbot des GWB kann dort neue Ausnahmen vorsehen, wo Unternehmen zusammenarbeiten, um Zugänge zu den Daten zu bündeln, die sie zur Entwicklung gemeinsamer oder jeweils eigener neuer Geschäftsmodelle zu benötigen glauben.

• Auf EU- und WTO-Ebene soll versucht werden, international und möglichst weltweit Grundlagen dafür zu schaffen, dass Unternehmen überall auf der Erde auf hinreichend breiter Datenbasis neue informationelle Dienstleistungen, auch in Bereichen wie KI, entwickeln können. 

S.10/11 Beihilfeaufsichtsrecht stärken statt schwächen

Das EU-Beihilfenaufsichtsrecht ist kein Standorthindernis, sondern eine der wertvollsten Errungenschaften des EU-Einigungsprozesses. (...) Länder oder Volkswirtschaften, die über keine oder keine starke Beihilfenaufsicht verfügen, zahlen dafür früher oder später immer einen hohen Preis. Das gilt auch für shooting stars wie die Volksrepublik China. In Europa hat es sich bisher durchgehend gerächt, wenn fußlahme Unternehmen, meist größere Einheiten, mit Beihilfen künstlich am Leben gehalten wurden. (...) 

DIE FAMILIENUNTERNEHMER wenden sich gegen eine Lockerung vor allem des EU-Beihilfenaufsichtsrechts. Es ist ein erfolgreiches Instrument gegen Subventionswettläufe. Und ein funktionierendes Beihilfenaufsichtsrecht ist genauso wichtig wie eine taugliche Insolvenzordnung. (...) Statt in Bezug auf das bestehende EU-Beihilfenaufsichtsrecht Lockerungen zu erwägen, sollte dieser Teil der EU-Rechtordnung exportiert werden. Es bedarf einer Anwendung dieses Rechtsrahmens oder vergleichbar ausgerichteter Regeln auf »Drittländer«, d. h. auf Länder außerhalb der EU. (...) Wer mit der EU Handel treiben will, muss sich auf Beihilfenaufsicht gemäß dem europäischen Vertragswerk einlassen. Vor allem so kann vermieden werden, dass infolge starker Subventionen global Marktkräfte verzerrt werden. (...) Der Ansatz der Bundesregierung, öffentlich finanzierte Grundlagenforschung z. B. für KI, Quanten-Kryptographie, Quantencomputer zu stärken, ist richtig und stellt (weil ja weiter Grundlagenforschung) soweit auch keine Marktverzerrung dar. Jedoch stehen die derzeit angesetzten Forschungsinvestitionen hinter denen in den USA, China, Japan und Korea zurück (bei China im Verhältnis 1:50). (...) Es muss nicht immer Geld sein, auch Koordinierung kann helfen, z. B. bei der Schaffung und Förderung nationaler Kompetenzzentren: »Industriepolitik« kann so auch bedeuten, Wege zu entwickeln, wie auf neuen Wirtschaftsfeldern Clusterbildungen begünstigt (dabei aber nicht subventioniert) werden können. (...)

Die in der Nationalen Industriestrategie und den deutsch-französischen Plänen geäußerte Absicht, das europäische Beihilfeaufsichtsrecht massiv zu beschneiden, ignoriert bereits bestehende europäische Sondertatbestände. Die 2014 eingeführte Sondergenehmigung IPCEI erlaubt es, dass nationale Regierungen Projekte direkt finanziell unterstützen. Konkret ist es unter dieser Sondermaßgabe der EU und einzelnen Mitgliedsländern möglich, Hightech-Unternehmen gezielt jenseits der üblichen Subventionsprogramme zu fördern, wenn man sie als strategisch wichtig einstuft und wenn es Unternehmen aus mehr als einem EU-Land sind. (...) Auch aufgrund dieses bereits bestehenden weitreichenden staatlichen Handlungsspielraums wäre es nicht zu verantworten, die wichtige EU-Beihilfeaufsicht grundlegend zu schwächen. Konkret lassen sich für das Beihilfeaufsichtsrecht folgende Forderungen ableiten: 

• Das Beihilfenaufsichtsrecht des EUV ist nicht etwa mit Ausnahmemöglichkeiten zu versehen, um in einen übereuropäischen Subventionswettlauf eintreten zu können, es ist über den EU-Raum hinaus zu exportieren. (...)

• Die Schaffung von Innovationsclustern kann hilfreicher sein als staatliche Geldspritzen (...)