21.08.2018

EuGH hebt Urteile des EuG über die „Sanierungsklausel“ auf: Keine unzulässige Beihilfe

EU
EuGH
EuG
Kommission
Steuerrecht
Beihilfenrecht
Sanierungsklausel

Vollständige Urteile: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=203426&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

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Der EuGH hat den Rechtsmitteln der Heitkamp BauHolding GmbH (HBH) und in einer ähnlichen Rechtssache der Lowell Financial Services GmbH, vormals GFKL Financial Services AG stattgegeben und die vorangegangenen Urteile des EuG aufgehoben, soweit die Rechtsmittel begründet waren. In diesem Umfang hat der EuGH die Rechtsstreitigkeiten selbst endgültig entschieden und nicht an die Unterinstanz zurückverwiesen.

Von besonderer Brisanz ist, dass der EuGH den streitigen Kommissionsbeschluss für nichtig erklärt hat, mit dem diese die „Sanierungsklausel" (§ 8 Abs. 1a KStG) als eine unzulässige Beihilfe angesehen hatte. Der EuGH rügte, dass die Kommission fälschlich allein die Regel des Verfalls von Verlusten als das für die Beurteilung des selektiven Charakters der streitigen Maßnahme maßgebende Referenzsystem angesehen habe. Da der selektive Charakter der streitigen Maßnahme von der Kommission somit anhand eines fehlerhaft bestimmten Referenzsystems beurteilt worden sei, hat der EuGH den streitgegenständlichen Beschluss für nichtig erklärt.

Hintergrund:

Die Europäische Kommission hatte in der Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe gesehen. Aufgrund einer entsprechenden Negativentscheidung der Kommission vom 26. Januar 2011 (2011/527/EU) war die „Sanierungsklausel" nicht mehr angewandt worden. Deutschland hatte den im Fall der Sanierung in Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen einen Verlustvortrag ermöglicht, trotz vorheriger Übertragung von Gesellschaftsanteilen i.S.d. § 8 Abs. 1 KStG. Körperschaften konnten nicht genutzte Verluste aus Vorjahren mit Gewinnen verrechnen. Im Falle der Übertragung von Gesellschaftsanteilen enthält § 8c Abs. 1 KStG in bestimmten Fällen ganz oder teilweise das Verbot des Abzugs früherer Verluste. Diese Beschränkung des Verlustabzugs gilt allerdings gem. § 8c Abs. 1a KStG nicht, wenn der Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung des Geschäftsbetriebs erfolgt.

Die zwischenzeitlich ergangenen Urteile des Gerichts in den beiden Rechtssachen hatten die Klagen auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission über die staatliche Beihilfe abgewiesen.

Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen vor dem Gerichtshof bereits dafür plädiert, den Beschluss 2011/527/EU der Kommission vom 26. Januar 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel" für nichtig zu erklären (vgl. dazu FIW-Bericht vom 19.01.2018 zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Wahl).

Wesentliche Urteilsbegründung:

Klagebefugnis

Die erste zu klärende Frage war prozessualer Art und betraf die Voraussetzungen der Klagebefugnis privater Kläger nach Art. 263 Abs. 4 AEUV. Der EuGH stellte fest, dass im speziellen Kontext einer unzulässigen Beihilfe derjenige individuell betroffen sei, welcher von der Kommissionsentscheidung wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder von besonderen, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt werde. Das sei unabhängig davon, ob der Kläger zur Gruppe der tatsächlichen oder potentiellen Empfänger gehöre. Da die HBH nach deutschen Recht einen Anspruch auf den Verlustvortrag i.S.d. § 8 Abs. 1a KStG besessen habe und es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis sie diesen auch geltend gemacht hätte, sei die HBH vom Kommissionsbeschluss individuell betroffen gewesen.

Sanierungsklausel

Der EuGH prüfte entscheidend den selektiven Charakter der Sanierungsklausel. Eine unzulässige Beihilfe liegt nur vor, wenn eine nationale Maßnahme bestimmte Unternehmen gegenüber vergleichbaren Unternehmen begünstigt, mithin selektiven Charakter hat.

Bei der Beurteilung der Selektivität eines Vorteils ist zu klären, ob die fragliche nationale Maßnahme im Rahmen einer konkreten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige" gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann (Rz. 83 des Urteils in der Rechtssache C‑203/16 P).

Der EuGH hat entschieden, dass die „Sanierungsklausel" (Möglichkeit des Verlustvortrags auf künftige Steuerjahre trotz Erwerbs einer Beteiligung von 25% oder mehr) keinen selektiven Vorteil ermöglicht. Die Kommission habe den selektiven Charakter der Sanierungsklausel anhand eines fehlerhaft bestimmten Referenzsystems beurteilt.

Anstatt die allgemeine Steuerregel des Verlustvortrags (§10d EStG) in die Beurteilung miteinzubeziehen, habe sich die Kommission allein auf die Regeln des Verfalls (§ 8 Abs. 1 KStG) gestützt. Auch das EuG habe den § 8 Abs. 1 KStG fälschlicherweise als maßgeblichen Bezugsrahmen eingestuft und die allgemeine Regel des Verlustvortrags von diesem Referenzsystem ausgenommen. Das sei laut EuGH insoweit falsch, als dass § 8 Abs. 1 KStG unstreitig eine Ausnahme vom allgemeineren (nicht selektiven) Verlustvortrag sei. Bei vollständiger inhaltlicher Prüfung definiere die „Sanierungsklausel" einen unter die Regeln des Verlustvortrags fallenden Sachverhalt, so der EuGH. Die Selektivität könne nicht zutreffend anhand einer künstlichen Verengung des Referenzsystems bestimmt werden.

So habe das EuG trotz seiner Feststellung, dass es eine für alle körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen geltende allgemeine Steuerregel, nämlich die Regel des Verlustvortrags, gebe, gleichwohl entschieden, dass die Kommission keinen Fehler begangen habe, als sie davon ausgegangen sei, dass das für die Beurteilung des selektiven Charakters der streitigen Maßnahme maßgebende Referenzsystem allein aus der Regel des Verfalls von Verlusten bestehe, obwohl die letztgenannte Regel selbst unstreitig eine Ausnahme von der Regel des Verlustvortrags darstellte und obwohl die Prüfung des gesamten Inhalts dieser Bestimmungen die Feststellung hätte ermöglichen müssen, dass die Sanierungsklausel dazu führte, eine unter die allgemeine Regel des Verlustvortrags fallende Situation zu definieren (Rz.102 des Urteils in der Rechtssache C‑203/16 P).

Die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme könne jedoch nicht zutreffend anhand eines Referenzsystems beurteilt werden, das aus einigen Bestimmungen bestehe, die aus einem breiteren rechtlichen Rahmen künstlich herausgelöst worden seien (vgl. Rz.103 des Urteils in der Rechtssache C‑203/16 P).

Ausblick

Zurzeit ist die Sanierungsklausel in ihrer Anwendung gesetzlich noch ausgesetzt. Mit rechtskräftigem EUGH-Urteil kann die Klausel wieder angewendet werden. Es bedarf dazu noch einer Bekanntmachung der Entscheidung im Bundesgesetzblatt.